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lauraComing-out einer Mutter - Ein Zwiegespräch
 
Vielleicht sagst Du bitte zuerst etwas Allgemeines zu Deinem Sohn. Was mich interessieren würde ist, welche Vorstellungen und welche Wünsche Du für Deinen Sohn und seine Zukunft hattest. Wie sollte sein späteres Leben aussehen?

 

Mein Sohn ist 21 Jahre alt. Es war ein Wunschkind. Mein erstes Kind ist mit 17 Wochen gestorben und danach wollte ich erst mal keine Kinder haben, weil mich dieses Erlebnis fix und fertig gemacht hat. Erst 2 Jahre danach habe ich meinen Sohn auf die Welt gebracht, auf den ich mich dann sehr gefreut habe! Es war auch alles in Ordnung. Schwangerschaft, Geburt verliefe auch alles okay. Wünsche hatte ich damals nicht. Mein einziger Wunsch war, dass er gesund ist und dass er gesund bleibt. Aber ich habe mir damals nicht so den Kopf gemacht, was später sein wird oder was ich mir für ihn wünsche. Damals gab es leider noch nicht das Mütterjahr. Er ging mit 12 Wochen in die Krippe und war in den ersten 3 Jahren häufig krank. Von Bronchitis bis Lungenentzündung. Es war so die erste Zeit.

Dazwischen lag eigentlich nicht viel. Mein Sohn war doch recht intelligent, war sehr künstlerisch begabt und wir haben versucht, es zu fördern. Bis er dann in die Pubertät kam. Er erkrankte an Asthma und wurde dadurch gesundheitlich  ganz schön eingeschränkt. Damit kann er allerdings heute gut leben, er hat auch keine Probleme damit. Zur Zeit ist er in der 13. Klasse bzw. hat er in der letzten Woche seine Schule abgebrochen, worüber ich nicht sehr glücklich bin. Aber wir haben uns dazu leider bis jetzt noch nicht verständigen können, weil wir uns noch nicht gesehen haben, aber ich nehme an, dass das mit seinem Schwulsein zusammenhängt. Dass er also in der Schule mächtig Probleme damit hat. Er ist Sprecher in seiner Klasse, sicherlich weil er älter ist. Er hatte sie 12. Klasse wiederholt. Er hat sich aus freien Stücken vorher ein halbes Jahr beurlauben lassen, auch wegen seines Coming Out, mehr oder weniger. Er hatte damit erhebliche Probleme und wollte eigentlich Abitur machen. Jetzt ist er wohl an dem Punkt angelangt, wo er alles abbricht. Er ist damit zufrieden. Er muss nächstes Jahr sowieso zum Zivildienst und hofft, dass er erstmal das hinter sich bringt und dann noch einmal das Abitur macht.

Ich würde noch einmal gerne zurückkommen zur Kindheit und Pubertät Deines Sohnes. Das war so Mitte der 80er Jahre. Es interessiert mich auch wegen meiner persönlichen Erfahrungen mit meinen Eltern. Sie haben mit als ihren Teil der Sexualaufklärung zwei Broschüren in die Hand gedrückt, damit ich mir das mal durchlese. Gesprochen haben wir über das Thema eigentlich nie. Und vom Biologieunterricht wurden die Geschlechtsorgane von Frau und Mann erläutert und wie die Frau zum Kinde kommt. Natürlich rein verfahrenstechnisch gesehen. Und das war es dann!

Mein Sohn wollte eigentlich von Anfang an alles immer ganz genau wissen. Er wusste, wie was passiert, er wusste, wie Kinder zur Welt kommen. Wir hatten damals spezielle Bücher im Haus, die von der Gestaltung sehr schön und auch sehr plastisch dargestellt waren. Man sah zum Beispiel das Kind im Mutterleib. Dann ebbte das offensichtliche Interesse ab und es passierte eine Weile erst einmal gar nicht. Später kam er mit solchen Fragen erst in der Schule wieder in Berührung, im damaligen Heimatkundeunterricht und später in Biologie. Das war so in der 3. und 4. Klasse. Wenn er Fragen hatte, hat er sie auch durchaus gestellt. Wir haben sie natürlich so gut wie möglich beantwortet.

Inwieweit spielten die vielfältigen Lebensweisen, die es ja nicht nur heutzutage gibt, sondern auch schon zu Zeiten, als Dein Sohn 13 oder 14 war, bei der Erziehung Deines Sohnes eine Rolle? Also ich weiß, um ein Beispiel zu nennen, dass in den heutigen Schulbüchern immer noch die heterosexuelle Lebensweise gepredigt wird. Um genauer zu sein und drastisch ausgedrückt, Freund findet Freundin, Freund heiratet Freundin und spielen dann bis an das Ende ihrer Tage Vater Mutter Kind und Kindeskinder. Beziehungsweise das traditionelle heterosexuelle Weltbild wird nach wie vor als alleinige Lebensform dargestellt. Meistens wird Homosexualität ja unter Krankheiten, Problemen der menschlichen Sexualität, Prostitution, Exhibitionismus, Sado- Masochismus uns Voyeurismus rein lexikalisch behandelt. Für lesbische Schülerinnen und schwule Schüler liegt ja dann der Gedanke oder besser die Überzeugung nahe, dass „mit ihnen etwas nicht in Ordnung sei“.

Das stimmt, das gab es damals nicht. Es wurde zumindest darüber nicht geredet. Und wir hatten auch niemanden in unserem Umfeld, der uns Anlass gegeben hätte, darüber nachzudenken. In unserem Bekanntenkreis gab es nur Familien mit Mann und Frau und Kindern. Ich kannte keinen Schwulen oder eine lesbische Frau.

Hattest Du zu einem bestimmten Zeitpunkt auch eine andere Möglichkeit in Erwägung gezogen, als dass Dein Sohn mal eine Frau heiratet und sie Kinder bekommen?

Davon bin ich ganz normal ausgegangen. Ich hatte keinen Anlass, etwas anderes zu denken und habe mir auch keine Gedanken gemacht, also wann er denn nun heiraten wird oder wann er nun die erste Freundin nach Hause bringt. Das überhaupt nicht. Nur als er älter wurde und nie eine feste Freundin mitbrachte. Er hatte zwar viele Freundinnen, einer der er auch etwas näher stand, die, wie ich im nachhinein weiß, wohl auch in ihn verliebt war. Mein Sohn hatte schon immer Kontakt zu vielen Mädchen, auch schon als kleiner Junge. Bei Geburtstagsfeiern kamen meistens Mädchen, nur ein oder zwei Jungen, mehr nicht. Das gab mir aber nie zu denken. Wie gesagt, in der Öffentlichkeit wurde nie über Schwulsein oder Lesbischsein geredet. Jedenfalls nicht zu dieser Zeit. Auf keinen Fall aber so bewusst, dass ich es mitbekommen hätte. Ich habe mich mit Homosexualität nie wirklich befasst.

Eine Frage stelle ich mir immer wieder: „Merken es die Eltern wirklich nicht?“ Meine Erfahrungen gehen in zwei Richtungen: Erstens gibt es Eltern, die sich schon lange vor dem Coming Out  Ihrer Kinder Sorgen machen, dass mit Ihnen etwas nicht stimmen könnte. Das kann sogar soweit gehen, dass Sie es beinahe schon eher wissen, bis Ihr Kind sich eigentlich darüber im Klaren ist, wie es bei mir und meinen Eltern war. So vermute ich das jedenfalls, denn es war ja doch sehr auffällig, dass ich nie eine Freundin hatte, nicht einmal andeutungsweise. Ich hatte auch nie den Versuch unternommen, meinen Eltern eine Freundin präsentieren zu können. Ich bin nie in Diskotheken gegangen. Und zweitens gibt es Eltern, die völlig schockiert reagieren, wenn die Kinder ihr Coming Out offiziell machen.


Ich kann mich zu beiden Kategorien zählen, so paradox es klingen mag. Aber mein Unterbewusstsein hat mir wahrscheinlich schon deutlich gemacht, dass irgend etwas anders läuft als – ich sage das jetzt mal so – als normal. Wie gesagt, ich habe mir damals nur Gedanken gemacht, dass er keine feste Freundin hat. ;ein Sohn ging eigentlich nie in die Diskothek. Aber er war viel unterwegs. Er hat sich viel mit Freunden getroffen. Er war selten zu Hause. Dort hat er sein Zimmer für sich gehabt, wo er sich dann zurückgezogen hat. Aber mein Bewusstsein hat das nicht so nach außen gebracht. Es hat es nicht formuliert. Und als er es mir sagte, brach eine Welt für mich zusammen. Es lief dann alles wie ein zu schnell gespielter Film an mir vorbei: Kinder kriegt er nie. Keine Frau bekommt er. Enkelkinder werde ich nicht haben. Er ist der letzte mit diesem Namen, der Name stirbt mit Ihm aus. Es ist althergebracht, das weiß ich. Hinterher habe ich mir gesagt: „So was Blödes“. Aber in diesem Moment dachte ich : „Wieso er, wieso gerade er?“. Ich war nicht hysterisch, komischerweise überhaupt nicht. Sondern meine erste Reaktion war, als er es mir sagte: „Das habe ich mir gedacht“. Da habe ich es das erste Mal ausgesprochen. Ich habe mir darüber nie einen Kopf gemacht, ob er vielleicht schwul ist. Ich konnte ganz normal mit ihm reden. Probleme konnten wir lösen. Es gab eigentlich nie Problem, die nicht. Ausgesprochen wurden. Und er ist, soweit ich das heute nachvollziehen kann, von seinem Schwulsein nicht überrascht worden – wäre glaub ich falsch ausgedrückt – es war für Ihn kein langer Prozess von Jahren. Vielleicht hat er schon in der Kindheit bemerkt, dass mit Ihm etwas anders ist. Ausschlaggebend war für Ihn schon sein Jahr in Amerika, wo er als Austauschschüler war. Dort ist es Ihm bewusst geworden. Das Leben ist ja dort etwas freier. Die Leute denken „cooler“, was auch immer das sein mag. Aber so hat er es damals beschrieben. Er konnte sich selber frei entfalten. Verschiedene Leute, die er dort kennen gelernt hat, in der Schule, seine Gasteltern, dieses Umfeld herum, wobei er da nicht mit Schwulen zu tun hatte, haben ihn wohl sehr entscheidend beeinflusst. Aber er kam zurück und von da an baute es sich so langsam auf. Erfahren haben wir es ein Jahr später, als er sein Coming Out hatte. Seine guten Freunde wussten es vorher. Und auch seine Freundin, mit der er vorher engeren Kontakt hatte, Uns sagte er es nach einem Besuch in Hamburg, wo er auf dem CSD war. Bevor er nach Hamburg fuhr, erzählte er uns, dass er nur einen Freund besuchen wolle. Als er nach zwei Wochen zurückkam, hat er sich mir eröffnet. Seinem Vater musste ich es beibringen. Das ist für meinen Sohn das schlimmste, dass mein Mann seinem Schwulsein nicht so offen gegenüber steht, wie ich. Mein erster Kontakt mit anderen Schwulen war eigentlich der René, dann Dirk und dann Du. Und da konnte ich auch schon unterscheiden, dass es da genauso unterschiedliche Typen gibt, wie bei den Heteros oder den Lesben oder sonst irgendwelchen Leuten. Mit René konnte ich mich gerade in der ersten Phase, nachdem ich es erfahren hatte, sehr gut austauschen. Er konnte mich in den Arm nehmen, als ich Rotzblasen geheult habe. Er war es, der mich getröstet hat und zu mir sagte, dass alles nur halb so schlimm sei. Und ich sollte es so akzeptieren und letztendlich muss mein Sohn damit fertig werden und ein Leben lang damit leben, ob er nun will oder nicht. René hat mir sehr über die ersten Monate hinweggeholfen. Er hat mir viel über Schwule erklärt – wie sie über bestimmte Dinge denken, wieso sie an bestimmte Problemen so herangehen und nicht anders. Das hat mir unwahrscheinlich viel geholfen. Ich bin zwar mit meinen Sohn umgegangen, wie sonst auch, aber etwas stand zwischen uns. Ich kann zwar akzeptieren, dass Männer mit Männern schlafen, ich würde es für mich nicht annehmen wollen, das wäre für mich nicht denkbar. Das ist meine persönliche Einstellung dazu. Und wenn andere anders denken und leben, dann muss ich es akzeptieren, egal, was sie aus Ihrem Leben dann machen. Das Schlimmste an der ganzen Sache ist, dass es sich um das eigene Kind handelt! Da sieht die Sache nämlich ein bisschen anders aus, man möchte für sein Kind doch das Beste, dass es in der Schule gut läuft und dass es im Beruf gut klappt. Das war in den ganzen Jahren aufgrund seines Schwulseins in Frage gestellt. Er hatte mächtig Probleme damit, bzw. nicht einmal er mit sich selber, sondern eher seine Umwelt mit Ihm. Er hat sein Coming Out auch innerhalb eines Jahres nach der Rückkehr aus Amerika offiziell gemacht. Und er hat dabei auch nicht die Folgen, die für ihn entstehen könnten, bedacht. Zum Glück auch nicht. Könnte ich fast sagen. Auf der anderen Seite hängt ja auch noch die Familie daran.

Thema Information: Du weißt also, Dein Sohn ist schwul! Aber Du weißt nichts über Schwulsein. Wo hast Du dich informiert? Viele Eltern wälzen erst einmal zu Hauf Broschüren und Bücher, meistens um zu erfahren, wie Homosexualität eigentlich entsteht und was sie bei der Erziehung ihres Kindes falsch gemacht haben könnten.

Erst einmal nicht. Ich habe in der ersten Zeit nur mit mir selber gehandert. Ich habe Nächte lang nicht schlafen können. Ich habe die ganze Zeit gegrübelt – Warum? Wieso? Weshalb? Was hast Du verkehrt gemacht? Liegt es n der Erziehung? Woran liegt es sonst? In den ersten Tagen und Wochen ging es mir dreckig. René hat da ein feines Gespür für. Der kannte mich schon gut genug und hat mich da in den Arm genommen. Er fragte mich, was los sei. Erzähl es mir! Irgendwann habe ich es Ihm erzählt. Er war der Einzige aus meinem Betrieb, der es wusste. Da war ich auch noch nicht soweit, dass ich es jedem erzählen konnte oder auch wollte. Ich wollte es für mich in meinem stillen Kämmerlein behalten, weil ich nicht wusste, wie die Ausmaßen sind und wie die Leute reagieren. Ich glaube, meiner besten Freundin habe ich es als dritten Menschen erzählt. Die hat es dann ganz locker weggesteckt. Das größte Problem war eigentlich mein Mann. Der hat sich darüber ausgeschwiegen, als ich es Ihm erzählt habe. Seine erste Reaktion war: „Der spinnt doch, der soll mal zum Psychiater gehen“. Zwar nicht abfällig, aber es war wohl auch seine Hilflosigkeit zu spüren. Er hat sich darüber überhaupt keinen Kopf gemacht, nie und nimmer. Ich glaube, für Ihn als Mann ist es auch viel schwerer zu verkraften. Dann musste ich mich nicht nur mit mir selber auseinandersetzten, sondern auch mit meinem Mann. Wir konnten schlecht darüber reden. Ich habe es zwar versucht, aber mein Mann brach das Thema zu rechten Zeit ab. Die ersten Wochen waren von Sorge gezeichnet, ich dachte: „Oh Gott, hoffentlich bekommt er kein AIDS“. Oder: „Wer weiß, mit wem er jetzt zusammen ist“. Diese Gedanke kam mir eigentlich laufend. Zwischen meinem Sohn und mir war es auch kein Thema mehr. Er brachte mir ein Buch mit von Dorit Zinn „Mein Sohn liebt Männer“. Dieses Buch habe ich in  einer Nacht ausgelesen. Und ich habe viele Sachen, die im Unterbewusstsein waren, in diesem Buch wieder gefunden. Ihr Gefühlsleben war auch mehr oder weniger durcheinander. Nachdem Sie alle Höhen und Tiefen durchgemacht hat, hat sie sich aufgerappelt und hat mit Ihrem Sohn geredet. Und wollte auch das Umfeld Ihres Sohnes kennen lernen. Das habe ich versucht und habe ihn öfter danach befragt.

Du weißt, Dein Sohn ist schwul? Welche Vorstellungen hattest Du von seinem schwulen Freundeskreis? Hattest Du dir darüber Gedanken gemacht: „Oh Gott, in welche Kreise gerät er jetzt?“

Viele seiner Freunde kannte ich aus Potsdam, teilweise aus der Schule, viele kannte ich von seiner ehrenamtlichen Tätigkeit für einen deutsch-amerikanischen Verein, der sich um den Schüleraustausch kümmerte. Aber als er nach Berlin zog, wusste ich nur, dass er bei einem Freund mit einzog. Den lernte ich nur durch Telefon kennen. Ich habe Ihm gegenüber meine Sorgen mitgeteilt, was meinen Sohn betraf, warum er sich zum Beispiel nicht meldet. Ich hatte einen guten Eindruck von ihm. Bis ich später erfahren habe, dass er schwul ist und das störte mich auch nicht. Sonst kannte ich sein schwules Umfeld nur von Namen, da tauchten unheimlich viele auf. Ab und zu musste ich dann schon nachfragen, um sie nicht durcheinander zubringen. Später habe ich sie nach und nach kennen gelernt.

Hattest Du das Bedürfnis, den neuen Bekanntenkreis kennen zulernen?

Das Bedürfnis hatte ich bei seinem ersten Freund, bei dem er wohnte, weil er mir sehr sympathisch war. Ich habe ihn aber erst bei dem Auszug meines Sohnes aus dessen Wohnung kennen gelernt.

Du hast mir erzählt, dass Dein Sohn in bestimmten Phasen nicht immer die Wahrheit gesagt hat, um sein Schwulsein zu verheimlichen.

Sehr groß enttäuscht war ich über dieses eine halbe Jahr, wo er sagte, er wäre in diesem deutsch – amerikanischen Verein und sich herausstellte, dass das gar nicht stimmte. Das war ja ein bewusstes Lügen, egal aus welchen Gründen. Aber über einen sehr langen Zeitraum nicht offen zu sein, aber zu wissen, dass ich mir sicher bin, er ist da und da, und er nimmt diese und diese Termine wahr und uns zum Schluss zu erklären, er ist schwul und er war eigentlich immer in einer Coming Out Beratung in Berlin, da war ich enttäuscht.

Hat dieses nicht die Wahrheit sagen im nachhinein Auswirkungen auf das Vertrauensverhältnis zwischen Dir und Deinem Sohn gehabt?


Das Vertrauen war nicht weg. Vertrauen zu mir hat er dadurch gezeigt, dass er sich mir gegenüber offenbart hat. Ich weiß, wie schwer es ihm gefallen ist, uns es zu sagen. Er hatte mächtige Probleme, es uns gegenüber zu äußern. Und deswegen war es uns eine Erklärung für das Vorausgegangene.

Wie intensiv hast Du Dich nach dem Coming Out Deines Sohnes mit dem Thema Homosexualität beschäftigt? Welche Fragen hattest Du? Wo hast Du Dir Informationen über dieses Thema geholt? Konntest Du mit Deinem Sohn über Schwulsein reden. Oder war dabei zwischen Dir und Deinem Sohn Funkstille?

Mein Sohn ist ja volljährig und er lebt sein eigenes Leben. Über sexuelle Dinge hat er nie mit uns geredet. Dazu war er zu schüchtern. Er hatte seine Freunde dafür, denen er sich anvertrauen konnte. Er hatte eine ganze Menge Freunde, die ihm unwahrscheinlich geholfen haben. Ich stelle mir auch in meinem eigenen Liebesleben vor, bei Problemen nicht zu meiner Mutter oder zu meinem Vater zu gehen und sie zu befragen. Das würde ich Ihnen am allerwenigsten erzählen. Die erzählen von Ihrem Liebesleben auch nichts. Ich finde, das muss auch nicht sein. Ich gehe von mir aus ,  wenn ich ein Problem mit meiner Beziehung habe, würde ich eher zu meiner Freundin gehen. Das nehme ich ihm auch nicht übel, er weiß, dass er mit allen Problemen zu mir kommen kann. In erster Linie hat René mich abgefangen, er hat mich wieder motiviert und aufgebaut, weil ich seelisch am Ende war. Wie soll ich meinen Sohn fragen. Dann habe ich lieber René gefragt: „Wie kann ich dieses oder jenes Problem anpacken?“ Das waren allgemeine Tips, die bestimmt jeder andere Mensch in anderen Lagen bekommen hätte. Ich denke nicht unbedingt, dass das etwas mit seinem Schwulsein zu tun gehabt hat. Ein anderes Problem war, dass ich mit meinem Mann nicht darüber reden konnte. Da hat René mir von seinen Eltern erzählt, wie seine Mutter reagiert hat und seine Schwester. Bei mir wusste ja keiner etwas! Irgendwie kam ich da in die Bredouille. Wie verhältst Du dich überhaupt gegenüber den Verwandten? Meine Eltern sind zu krank und sie würden es nicht mehr verstehen. Ihnen möchte ich es wirklich vorenthalten. Das ist eine gemeinsame Entscheidung. Meine Schwester weiß es. Mein Schwager hat auch eine recht merkwürdige Haltung Schwulen gegenüber, weil er es auch nicht begreifen kann. Ere hat uns mehr oder weniger Vorwürfe gemacht, dass das an unserer Erziehung läge, wobei unsere Erziehung von allen Seiten immer recht gut bewertet worden ist. Mir wurde immer nachgesagt, dass ich meine Kinder mir den Augen erziehe. Ich brauchte sie immer nur anzugucken und sie wussten, was Phase ist. Da gab es keine Schläge oder sonst irgend etwas. Aber jeder sieht es von seiner Warte und ich habe bestimmt auch Fehler gemacht. Ich wusste, was schwul ist. Ich wusste wo ich mich informieren kann, Es gibt einen Haufen von Broschüren, es gibt Bibliotheken, wo man sich Bücher holen kann, die habe ich mir auch ausgeliehen. Und zur Not hatte ich immer noch René.

In der ersten Zeit hast du nachgeforscht...

...und alles für mich behalten. Ich habe lange Zeit mich eingeigelt. Es war ein sehr langer Prozess, der mich heute noch belastet. Es ist noch nicht vorbei. Es gibt Momente, da kann ich gut damit leben. Mein Sohn bleibt mein Sohn, egal wo er ist. Meine Sorge ist größer in Punkto Gewalt gegenüber Schwulen, Wenn er nachts S-Bahn fährt, kann ich das nicht gutheißen. In der Schule muss er, wie es sich jetzt zeigt, Einigem ausgesetzt gewesen sein. Er hat uns viel vorenthalten, welche Schikanen er erlebt hatte.

Du warst ja in der Phase „Oh Gott, Oh Gott, hoffentlich erfährt das keiner“. Was hat Dich dann bewegt, es doch halbwegs öffentlich zu machen? Wie hast Du das öffentlich gemacht?

Es weiß meine Schwester. Meine Schwägerin aber nicht. Die hat zwei Söhne. Der eine davon ist ziemlich hart und bullig. Der macht sich über Schwule lustig, veralbert und verarscht sie beim Fasching. Davon werden dann Fotografien gemacht. Die werden dann bei Geburtstagsfeiern herumgereicht und mein Sohn sitzt daneben. Das tut mir dann weh. Und deswegen würde ich es meiner Schwägerin nicht sagen. Das geht sie nichts an!

Was antwortest Du, wenn Fragen von Deinen Kollegen kommen? „Was macht Dein Sohn, hat er schon eine Freundin?“

Das fragt mich komischerweise keiner. So merkwürdig es klingt, aber diese Frage habe ich mir selber schon oft gestellt. Was sagst Du dann? Meine Mutter hat mich einmal danach gefragt, als mein Sohn zu einem Freund in die gezogen ist: „Na er wird doch hoffentlich nicht schwul sein“. Ich habe dann geantwortet: „Ach wie kommst Du denn darauf?“

Viele Eltern präsentieren doch die erste feste Freundin stolz der Verwandtschaft. Würdest De einen festen Freund Deines Sohnes auch stolz präsentieren wollen?

Den Stolz konnte ich noch nicht präsentieren (lacht). Ansonsten kommt es auch darauf an, wem gegenüber. Bei denen, die es wissen, hätte ich kein Problem. Aber ich würde es nicht meinen Eltern sagen. Ich habe mich gerade mit einer Freundin unterhalten, die genau das gleiche Problem hat. Sie macht sich Gedanken darüber, ob ihr Sohn nicht schwul sein könnte. Er ist 25 Jahre und hatte noch nie eine feste Freundin. Fragen danach beantwortet er ausweichend bzw. er ist bemüht, dieses Thema zu umschiffen. Da habe ich es auch erstmalig gesagt, dass ich kein Problem damit habe und der Gedanke ist mir bei Deinem Sohn schon vor Jahren gekommen. Komischerweise eher als bei meinem Sohn! Das fand ich ganz merkwürdig in dem Gespräch mit ihr, weil mein Sohn eigentlich typisch für einen Schwulen ist. Dieser Junge hat aber diese Merkmale auch, wobei er kräftiger ist, aber die Stimme ist ein wenig weicher als üblich, der Händedruck ist ein wenig schlaff und die berühmten „gebrochenen Hände“ sind da. Er ist ein ganz lieber netter Kerl. Ich mag Ihn wirklich ganz doll. Bei ihm habe ich schon vor 5 Jahren gedacht, dass bei Ihm etwas anders ist. Das Gespräch hat mich ganz doll berührt. Warum macht man sich um andere eher und schneller diese Gedanken als bei seinem eigenen Kindern?

Hast Du Befürchtungen, dass Dein Sohn in der heutigen Gesellschaft wegen seines Schwulseins benachteiligt wird?

In erster Linie steht die Angst vor AIDS, wobei ich schon glaube, dass er darauf achtet, dass hat er jedenfalls gesagt. Ich glaube aber, dass es immer Situationen geben kann, wo er darauf gerne verzichten wollte. Er hat mir zugesichert immer ein Kondom zu benutzen. Trotzdem auch ein Kondom ist nicht 100%ig sicher. Die Angst wird wahrscheinlich auch bleiben. Dann habe ich Angst, dass er als Homosexueller in der Gesellschaft benachteiligt wird, da er sich offiziell geOutet hat und es auch jedem kundtut. Und er hat wohl auch in der Schule damit nicht hinter dem Berg gehalten. Es muss dort etwas vorgefallen sein, was schon längere Zeit in ihm fraß. Und ich denke, dass es etwas mit seinem Schwulsein zu tun hatte. Ich habe mit Ihm darüber noch nicht gesprochen. Aber etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen. Und dann habe ich jetzt die Sorge, dass er seine Schule abgebrochen hat. Er ist jetzt 22. Und er hat noch nichts vorzuweisen. Nicht einmal einen Schulabschluss. Im nächsten Jahr muss er zum Zivildienst. Da ist er ein Jahr wieder weg... Dann ist er 23. Und er hat dann immer noch nichts. Darüber mache ich mir die größten Sorgen. Denn es ist auch eine finanzielle Sache. Wir haben ihm Amerika ermöglicht, was uns viel Geld gekostet hat, das wir nicht haben. Ich denke, dass er jetzt so viel Verantwortung haben muss, dass er sein eigenes Geld verdienen sollte. Dass er jetzt die 13. Klasse abbricht ohne Gründe zu kennen, finde ich schon ein wenig rücksichtslos. Denn die Eltern können nicht immer zahlendes Mitglied sein.

Wenn es die Möglichkeit gegeben hätte, eine Selbsthilfegruppe für Eltern homosexueller Jugendlicher zu besuchen, hättest Du diese Möglichkeit genutzt?

Es ist schwierig, diese Frage zu beantworten. Das kann ich im nachhinein nicht genau sagen. Ich hatte lange erst einmal mit mir selber zu tun, es überhaupt zu akzeptieren. Wenn es mehr Probleme mit meinem Sohn gegeben hätte und René nicht da gewesen wäre, dann vielleicht.

Die Probleme, die Du mit dem Schwulsein Deines Sohnes hattest, kamen die Dir zu gering vor, dass Du zuerst mit niemanden darüber sprechen wolltest?

Nee, gering nicht, das waren ja Probleme, die ich hatte. Mein Sohn hat ja die Probleme bewältigt, indem er es mir gesagt hat. Aber ich musste ja erst mit der Situation klarkommen. Denn ich wurde ja von einer Minute zu anderen in das kalte Wasser geschmissen. Und ich hatte nicht diese Vorbereitungsphase, wie er. Ich bin ein Mensch, der sich erst einmal zurückzieht und einigelt. Nach außen wurde ich sogar grantig, weil ich dieses Bla Bla und diese Gefühlsduselei nicht hören wollte. Zuerst wäre ich ganz sicher nicht in eine Selbsthilfegruppe gegangen, eventuell später, wenn es sehr große Probleme mit meinem Sohn gegeben hätte. Was man natürlich nicht vergessen darf: René war meine Selbsthilfegruppe.


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