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Manche trauen sich kaum noch in die Szene

Ich bin seit vielen Jahren HIV-positiv. Durch die Krankheit und durch Medikamente habe ich mich körperlich verändert. Ich habe einen Bauch gekriegt, mein Hintern war jahrzehntelang knackig, und der ist jetzt richtig flach abgefallen. Das gilt auch fürs Gesicht. Ich treibe Sport  und versuche mich fit zu halten, gehe dreimal die Woche zum Training, da ist vom 12-jährigen Beinamputierten, vom Bodybilder bis zur 80-jährigen Oma alles vertreten. Das macht dann Spaß, und dadurch, dass ich jetzt regelmäßig zwei-, dreimal die Woche gehe, ist dieser Bauch wieder weg.

Ich kann eigentlich mit meinen körperlichen Veränderungen recht gut umgehen. Das Leben hat auch mit eingefallenen Wangen noch schöne Seiten. Andererseits muss ich manchmal schlucken, wenn ich bestimmte Reaktionen auf mein Aussehen unvermittelt erfahre. Ich arbeite im Café Positiv, und da tauchte letztens ein alter Bekannter von mir auf und sagte:“ Mensch, das sieht man aber auch, dass du positiv bist.“ – wo wir nie drüber gesprochen haben. – Ich sagte: „ Wie kommste drauf?“ Und er:“ ja, dein eingefallenes Gesicht, Haut und Knochen und so.“ – Da schluckst du, ne? Du kannst dich ja nicht wehren. Wie willst du dich wehren, wenn dir jemand sagt „ Du hast da, das sieht aber aus als ob.“ Da kannst du nur sagen: „Ja.“ – Also ich bin kein Mensch, der das abstreitet, aber es tut weh ne?

Gerade bei eine Menschen, den du schon seit Jahren nicht mehr gesehen hast; der kam einfach nur rein und schleudert dir das so ins Gesicht. Ich habe HIV-positive Leute im Bekanntenkreis, die trauen sich kaum noch in die Szene. Die kamen früher regelmäßig ins Café, sie lassen sich aber aus Angst vor blöden Reaktionen nicht mehr in der Szene sehen.

Was mir aufgefallen ist: Die Ausgrenzung passiert komischerweise nicht in der Öffentlichkeit, sondern eher in den schwulen Szenen, nicht innerhalb der Gesellschaft. Das ist das Schlimmste. Da bin ich überrascht. Dass die Gesellschaft einfach denkt: naja der ist krank und sieht ein bisschen schlecht aus, und dann ist gut. Aber die Szene sieht auf hundert Meter, dass du positiv bist, ne? Es sei denn, du bist jung und frisch infiziert. Da hat man in der Szene kaum Probleme. Aber wenn man sich durch die Medikamente körperlich verändert, wird man gerade in der Szene ausgegrenzt. Wir hatten bei uns einen im Café, der hat ´nen Stiernacken, da muss sogar ich aufpassen, dass ich nicht diskriminiere. Ich sag ihm natürlich nicht, „Du bist hässlich“ oder wie auch immer, aber wenn du hinter der Theke bist, guckst du. Du guckst immer nach diesem Nacken der so komisch ist. Aber ich bin dann so nach ´ner viertel Stunde, eher forsch, also geh ich dann zu dem hin und sag“ Leck mich am Arsch, ist das alles von diesen Medikamenten?“ Und da habe ich sogar festgestellt, dass dem dann ein Stein vom Herzen fiel, endlich mal darüber reden zu können. Weil – jeder sieht es, aber keiner redet mit ihm darüber. Und er hat eigentlich das Bedürfnis, darüber zu reden, und der Einzige, mit dem er darüber reden kann, ist sein Arzt.

Es gibt auch die HIV-positiven, attraktiven Rechtsanwälte, die kenne ich auch. Die lassen sich durch kosmetische Operationen ein Gesicht machen, das aussieht wie Hammer. Dreimal im Jahr zum Fettabsaugen usw. Das ist halt ´ne finanzielle Frage. Also derjenige, der auf Krankenkasse angewiesen ist so wie ich, der alles bezahlen muss, der überlegt sich das dreimal. Ich denke mir aber, für das Geld fliege ich lieber für 14 Tage nach Gran Canaria.

Allgemein hat sich unsere Szene in den letzten Jahren sehr verändert. Ich würde mich freuen, wenn wieder alles mehr zusammenkommt, nicht dieses Abgeschottete. Da gehen die schwulen Türken hin, dort die schwulen Behinderten und hier die schwulen gehörlosen usw. Das vermisse ich eigentlich gegenüber früher. Wenn ich da in die Kneipe gegangen bin, dann war alles, wat schwul ist, einfach da. Da stand die Transe neben dem Ledermann, Jung neben Alt, Dick neben Dünn. Ich persönlich stehe auch nicht auf Bären, was die Sexuelle angeht. Aber deshalb kann ich doch mit dem zusammen ein Bier trinken, feiern und Spaß haben, oder? Das würde ich schön finden. Ich sehe nur einmal den Facettenreichtum der Homosexuellen, und zwar auf dem CSD oder auf dem schwulen Straßenfest. Und da bin ich manchmal selber überrascht wat dat da allet gibt, ne?

 

Quelle: Deutsche AIDS-Hilfe e.V.