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Wolfgang: Wir müssen etwas gegen die Einsamkeit älterer Leute tun

Ich bin in Dresden geboren. Das war damals noch Deutsches Reich, dann anschließend sowjetische Besatzungszone oder wie man das nun nennen will, und anschließend DDR. Ich habe dort die Schule besucht, dort gelernt, gearbeitet, bin dann irgendwann aus persönlichen Gründen in die Tschechoslowakei ausgewandert. Ich hatte dort einen Mann kennengelernt, der Tscheche war und nicht nach Ostdeutschland kommen durfte. Da haben wir den Spieß umgedreht und ich bin nach Prag gegangen, aber das war auch nicht einfach. Wir haben uns da eine Frau gesucht, ´ne Lesbe, die habe ich dann geheiratet, und aufgrund dessen war das dann möglich. Ich würde vermutlich jetzt noch dort leben, aber 1668 sind die Russen dort einmarschiert, und das war für mich ein Signal.

Ich habe mir gesagt, wo die Russen einmal sind, dort gibt´s für Jahrzehnte keine Möglichkeit, da vernünftig zu leben. Ich habe mir ein Visum besorgt für West-Berlin. Und da sind wir dann zu dritt nach Berlin gegangen. Meine Frau hat´s aus nationalem Denken nicht gepackt, sie ist wieder zurückgegangen. Sie hat gesagt, in der Tschechoslowakei lebt es sich für sie besser. Und später wurden wir dann geschieden. Seit 1968 lebe ich in West-Berlin, und mittlerweile ist Ost und West ja wieder unter einem Dach, und ich denke, das ist gut.

Mein Freund und ich haben einen gemeinsamen Hausstand gehabt, haben uns aber doch irgendwie auseinander gelebt. Wir haben uns getrennt, mein Freund ist nach Spanien gegangen, weil er einen Spanier kennen lernte. Er ist auch in der Zwischenzeit in Spanien verstorben. Ich habe dann immer wieder feste längere Freundschaften gehabt, die aber auch wieder auseinander gegangen sind. Und dann habe ich vor sechs Jahren meinen Freund verloren, der ist an AIDS verstorben. Es hat für mich ziemlich lange gedauert, ich finde jedenfalls, dass es sehr lange gedauert hat, es waren über zwei Jahre, bis ich mich gefangen hatte. Dann habe ich versucht wieder in der Berliner-Szene Anschluss zu finden. Aber das, was ich von früher kannte, das gehörte ja inzwischen der Vergangenheit an. Und da musste ich wieder anknüpfen, und vor allen Dingen: Für einen Mann, der wie ich mit der älteren Generation verkehren will, gibt es nicht viel Auswahl. Weil nämlich die Lokale für alte Leute überhaupt nicht mehr existieren. Also ich meine jetzt, Ellys-Bierbar war gemischt, also in der Friesenstraße, und wir hatten am Nordufer so ´n Laden, ich glaub der hieß Fuffzehn oder so ähnlich. Das sind alles Geschäfte die ausgestorben sind. Und das Oldtimer machte zur damaligen zeit gerade zu. Und das war´s dann auch.

Es gibt also kaum noch Läden, in denen ältere und jüngere Schwule gleichermaßen vertreten sind. Für ältere Leute tut sich kaum was. Es sei denn man kennt irgendwelche Privattreffs, gibt’s ja auch, wo man dann persönlich vorgestellt wird, wo dann Ältere mit Älteren verkehren. Dann gibt es Einrichtungen, da ist man auf einen speziellen Tag eingestellt als Älterer. Oder man kennt dann irgendsoeinen Trupp , die bieten das Geschäft für ein Wochenende mal direkt an. Und dann ist es für Sex ganz wunderbar, man wird vorgestellt mit dem Vornamen, man kommt sofort ins Gespräch, man kann mit allen und ist vollkommen integriert. Aber das geht nur mit Terminkalender. Mann muss halt wissen, was wann wo abläuft, wo man hingehen kann. Und wenn man in Berlin lebt, dann weiß man das, woanders brauch ich einen Stadtführer.

Es kommt durchaus vor, dass man in irgendein Lokal geht und dass man den ganzen Abend da sitzen kann, ohne sozusagen – weil rechts und links Leute sitzen, die von mir als Älteren überhaupt keine Notiz nehmen, oder nur bedingt Notiz nehmen. Und dann kommt auch noch die andere Sache hinzu, die wesentlich ist, weil – ich lehne auch meinerseits ein Gespräch ab, weil man weiß, das bringt nichts. Das ist mir einfach zu blöd oder zu dumm. Das hat nichts mit Überheblichkeit oder mit Wissensstand zu tun, sondern das ist dann unter meinem Niveau, also dann gehe ich lieber in die nächste Kneipe, das muss ich mir nicht antun. Ohne überheblich zu sein. Und das ist auch der Grund, warum manchmal kein Gespräch zustande kommt, von meiner Seite. Ich habe einfach gelernt, mit meinen Leuten -  also hier zum Beispiel im Sonntagsclub die Gruppe 40 plus – also ein Treffen auszumachen, an dem Tag, an dem Abend, da gehen wir dahin. Und da sind überhaupt keine Probleme dann, den ganzen Abend ist da Gesprächsmöglichkeit, und mittlerweile baut sich da ´ne andere Sache auf, dass man bei gemeinsamen Interessen da weiter geht. Z.B. ins Theater, in Ausstellungen, man verreist zusammen. Also ich würde fast sage, wenn man sich nicht ausgrenzen lassen will, muss man das nicht.

Ich suche mir auch die Tage aus, an denen ich in die Sauna gehe. Z.B. am letzten Samstag des Monats, da treffen sich die schwulen Teddies. Die Teddies sind ja auch ausgegrenzte Schwule. Die haben mit ihrer Welt ´ne ganze Menge Schwierigkeiten. Da ist das Alter nicht das Problem, sondern die Körpergröße und das Aussehen. Und die Teddies sind eigentlich sehr gut, sowohl für ein Gespräch wie ooch für Sex zu haben. Und ansonsten -  ich käme nicht auf den Gedanken, auf die Kurfürstenstraße aufs bermudadreieck zu gehen, weil ich weiß, da ist eh Strich und da sind junge Leute. Ich weiß auch, wie ich mich Jüngeren gegenüber verhalten muss und dass ich von Jüngeren nicht akzeptiert werden kann in gewissem Sinn. Weil ich das früher ähnlich gehabt habe bei mir, also ich habe auch mal so gedacht, Irgendwie haste da manchmal ein bissel Wehmut, weil, zu früheren Zeiten bist du auf die Straße gegangen, du hast die Schwulen erkannt und da war sofort ein Kontakt da, du wurdest wahrgenommen. Heute passiert es mir oft, dass die durch mich gucken und dass ich nicht wahrgenommen werde, einfach nicht vorhanden bin, und das verletzt mich manchmal. Aber da muss man drüber wegsehen. Gut, es sind nicht meine Zielgruppe, aber immer wieder kommt´s mir dann hoch, bemerk ich das, sagen wir mal so.

Ich habe auch festgestellt, dass einige ältere Leute sich kaum mehr raustrrauen. Das betrifft aber nicht nur ältere Schwule, das sehe ich auch an meinem Stino-Bekanntenkreis. Man kapselt sich zuhause ein. Sie kommen höchstens mal zum Club und können dann auch da kaum aus sich rauskommen. Und das ist ja gerade das, was wir vermeiden wollen. Was auch mein Anliegen ist. Wir müssen etwas gegen die Einsamkeit älterer Leute, also auch das Ausgegrenztsein, tun.

Quelle: Deutsche AIDS-Hilfe e.V.