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robertGökhan: Ich wünsche mir, dass man sich gegenseitig so akzeptiert, so wie man ist

Ich bin in Altona geboren, in Hamburg zur Schule gegangen, hab Realschulabschluss gemacht und war dann von 1997 bis 1998 in Amerika. Vor vier Jahren habe ich meine Ausbildung als Speditionskaufmann absolviert, und jetzt arbeite ich bei einer Reederei. Was Ausgrenzung ist, habe ich schon in meiner Schulzeit lernen müssen. Ich habe nämlich sehr gelitten in der Schule, weil ich nicht so war wie die meisten Jugendlichen. Ich war immer etwas anders und zurückhaltender, habe andere nicht gehänselt. Kennt man ja, Jungs ziehen Mädchen an den Haaren, oder man wirft sich gegenseitig Schimpfwörter an die Köpfe. Das war nie was für mich.

Da war ich dann so ein Außenseiter und musste die Hänseleien der anderen aushalten. Vielleicht lag es auch daran, weil ich mal in  der 5. Oder 6. Klasse geäußert hatte, es wäre doch interessant, einen Tag lang mal ein Mädchen zu sein. Um einfach nur diesen Aspekt kennenzulernen. Und das haben viele Kinder halt so aufgefasst, dass ich ein Mädchen sein möchte. So wurde ich dann von den Klassenkameraden halt als Schwuler beschimpft. Obwohl ich nie gesagt habe, dass ich schwul war. Es gab auch mal die Situation, dass ein Mitschüler mitten in der Klasse geschrien hat,“ Gökhan ist schwul“ , und alle anderen haben gelacht. Da bin ich verzweifelt aus der Klasse abgehauen, bin nach Hause und dann eine Woche lang nicht mehr in der Schule erschienen.

Ich weiß auch, dass die Lehrer das schon mitbekommen haben, dass ich geärgert worden bin, aber natürlich ist das für einen Lehrer einfacher, die Augen zuzumachen, als geradezustehen und für die Schwachen zu kämpfen. Obwohl ich niemals ein Schwächling in der Schwule war, also in dem Sinne, dass ich mich nicht äußern konnte; hatte nie schlechte Noten oder so. Habe aber erst im letzten halben Jahr in der Realschule angefangen, mich zu wehren, und bin auch an den Schulleiter herangetreten. Ich kann das zum Teil heute auch nachvollziehen, warum einige von den Schülern sowas gemacht haben. In diesen Jahren zwischen 11 und 17 habe ich einen ziemlichen Stress ausgehalten, den ich keinem Menschen wünsche. Nicht mal meinem schlimmsten Feind. Also ich weiß, wie schlimm das sein kann, wenn man  ausgegrenzt wird. Ich habe mir aber dennoch meine Freude am leben bewahrt! Bin kein Kind von Traurigkeit.

Ich der schwulen Szene erlebe ich auch Situationen, wo ich denke, dass dort eine gewisse Haltung vorherrscht, die ausgrenzen kann. Wenn man z.B. nicht einem bestimmten Bild entspricht. Oder wenn man bestimmte Merkmale aufweist. Also erstens bin ich Türke, zweitens trage ich eine Brille; ich entspreche nicht dem Schönheitsideal. Ich habe auch keinen Waschbrettbauch – einen kleinen Bauch habe ich schon (lacht) -, und natürlich bin ich behaart. Man wird durch diese Schönheitsvorstellungen völlig ausgesondert. Der Charakter, der in mir steckt, der wird überhaupt nicht beachtet. Und das finde ich schrecklich. Es tut weh, aber was soll´s, ich kann ja die Leute nicht zu ihrem Glück zwingen (lacht). Ich weiß auch nicht, ob ein Mensch mit Sixpack-Bauch, einem Riesendonnerschwanz, einem muskulösen Body und einem absolut heißen Gesicht mir durch sein Äußeres das Gefühl vermitteln kann, ob er auch charakterlich etwas wert ist. Das bringt nicht viel.

Es gibt bei uns auch so eine Art Baggersee, wo auf der einen Seite die Heten sind und auf der andere Seite die Schwulen. Und da sind dann halt viele Schwule, die man so kennt, und dort zieht man mal so übereinander her, so“ Oh Gott, das ist der und der, bloß nicht, mit dem möchte ich keinen Kontakt haben.“ Und so weiter und so fort. Also man erlebt das schon so, wenn man da sitzt. Und daneben sitzen zwei Leute, die dann auf einmal anfangen, über jemanden zu lästern, der irgendwie fünfzig Meter weiter weg ist. Und dieses Lästern kann ich nicht ausstehen. Das brauche ich nicht. Ich brauche auch nicht zu wissen, warum der eine dies und das gemacht hat, oder dass der andere das und jenes gemacht hat. Das kenne ich zur Genüge aus der türkischen Gesellschaft. In türkischen Familien wird nämlich auch ziemlich viel gelästert.

Wenn man jetzt z.B. in die Wunderbar oder irgendeine Gay-Kantine geht, dann stehen die Typen einfach rum. Also man sieht viele Leute, die einfach nur dort rumstehen, ja, oder auf Beutefang sind. Und bloß nicht feiern oder tanzen oder zeigen, dass sie sich amüsieren  –  aber wozu bezahlt man Eintritt? Es ist dann sehr schwierig, irgendwie mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Ich bin auch etwas schüchtern, wenn es darum geht, einen Typen anzusprechen, den ich interessant finde. Wenn ich jemanden sympathisch finde, dann gehe ich nicht auf den zu, einfach so, und sage hallo, Ich habe wahrscheinlich Angst vor Ablehnung und halte mich deshalb zurück. Ist mir auch schon oft passiert. Habe dann so antworten gekriegt wie „Tut mir Leid, mit dir möchte ich nicht reden“ oder sonst irgendwas. Auch wenn ich noch so höflich war und noch so nett war und einfach nur gesagt habe:“ Hallo wie geht’s?“ oder sowas. Auf die ganz einfache Art. Aber das Endresultat ist das gleiche:“ Du bist nicht mein Typ“, eine vernichtende Aussage. Und irgendwann blockt man sich dann auch selber ab, man entwickelt eine Schutzhülle, damit keiner mich verletzen kann. Aber eventuell grenze ich selber ja auch mit meiner Art wiederum andere aus und bin nicht tolerant genug gegenüber anderen.

Also ich würde mir generell wünschen, dass die schwule Gesellschaft an sich toleranter wäre! Wenn ich an die Gewalttaten in New York denke in der Christopher Street, wo ja auch die Transvestiten mitgeholfen haben mit den Homosexuellen, dass es überhaupt soweit gekommen ist mit der Toleranz in der Gesellschaft gegenüber Schwulen und Lesben. Ferner, dass man jeden akzeptiert, so wie er ist. Dann würde ich mir heute wünschen, dass die Leute in der Szene endlich lernen, sich selbst zu lieben, und dann es nicht unbedingt wichtig ist, sich hübsch zu machen oder sich dadurch zu definieren, dass sie einen großen Schwanz haben oder einen Sixpack-Bauch. Das menschliche Miteinander, das würde ich mir auch wünschen für die homosexuellen Männer.

Quelle: Deutsche AIDS-Hilfe e.V.


 
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