Ein bisschen wie Liebe
Der Himmel war sternenklar und das Feuer prasselte, besonders nachdem mir der Wodka umgekippt war und sich über die Flammen ergoss. „Man Mona, der schöne Wodka! Is noch was drinne?“ Leon. Der Leon. Der Junge der seit ewigen, ewigen Zeiten in meinem Kopf herumgeisterte. Da lag er neben mir am Feuer. Behutsam hob ich die Flasche auf und hielt sie im hin. Falsch herum. Mit der Öffnung über sein Gesicht. „Alter! Du hast mir Wodka ins Auge gekippt.“ Ich bekam einen Lachanfall. Entschuldigte mich kurz und schaute wieder in den Himmel. Im Hintergrund sein leises Fluchen. „Ey, das brennt.“ Sterne, Sterne, Sterne. Erinnerungslücke. Caro stupste mich an. „Oder wie siehst du das?“ Ich hatte nicht zugehört. „Wie sehe ich was?“ Heute ist mir nicht mehr bewusst wer diese Caro ist, an dem Abend waren wir beste Freunde. „Na, du und Leon, ich finde ihr passt super zusammen.“ Ich sah auf die Schnapsleiche neben mir. Er schaute - wohl ähnlich verwirrt – zurück. Sein eines Auge gerötet, vielleicht wirkte das aber auch nur durch das Feuer so. Caro: „Küss sie doch mal.“ Leon richtete sich auf und beugte sich zu mir. Erinnerungslücke.
„Nochmal.“ hauchte ich. Erinnerungslücke. Ich saß auf einer Bank, neben mir leierte ein CD-Spieler. Leon redete mit mir. „Hm?“ Er nahm mich am Arm „Komm ich bring dich zum Zelt, besser du schläfst jetzte.“ Krampfhaft versuchte ich die letzten Minuten zu rekonstruieren, oder waren es Stunden? „Mir ist kalt.“ meinte ich nur. Leon verschwand und kam mit meiner Tasche wieder. „In welchem Zelt schläfst du?“ fragte er, während er nach meinem Pullover suchte. „Ich will spazieren gehen.“ Ich lief einfach los, ins Dunkel hinein. Er kam mir nach. „Okay, aber denne gehst du Schlafen.“ Wir liefen um einen Tümpel. Wo kam der Tümpel auf einmal her? Wir redeten. Zum ersten mal. Also richtig. Auf dem Weg schienen mir tausend Steine vom Herzen zu fallen. Am Ende war ich so leicht, dass ich nicht mehr stehen konnte. Ich lag im Gras. Leon neben mir. Es war nass, mir war kalt, aber es machte nichts. Über dem glänzende Schwarz des Tümpels konnte man das Lagerfeuer sehen. Der Moment fror ein. „Ich versteh nicht, was die meisten Jungs für ein Problem mit mir haben.“ Er nahm meine Hände. „Du bist ziemlich dominant.“ Dann lagen seine Lippen auf meinen. Erst ganz still, dann reger, seine Zunge... Ich musste grinsen. Schwierig beim Küssen. Erinnerungslücke. „Küss ich eigentlich besser, als Mia?“ Ich lachte. Mir fehlte scheinbar schon damals jeder Sinn für Romantik. Eine Nacktschnecke kroch über meinen Arm. Leon zuckte die Achseln. Ich spürte es an meiner Schulter. Er war ganz ruhig geworden. Noch einmal legte er seine Lippen sanft auf meine. Dann flüsterte er. „Das Leben an sich, ist eine verdammt schwere Sache. Vor allem wenn man nicht gemocht wird.“ Ich versuchte seine Augen im Dunkeln ausfindig zu machen. „Aber ich mag dich doch.“ Ich liebe dich! Schrie ein kindliches Herz in mir. „Ich mag dich, ja ich mag dich.“ Wir schwiegen. „Wollen wir das besser für uns behalten?“ Ich nickte nur. Keine Ahnung ob er es bemerkte. Wir waren einfach zu gleich, um uns längere Zeit ertragen zu können, dachte ich. Erinnerungslücke. Wir standen vor einem Zelt. „Küss mich noch einmal und ich geh schlafen.“ Unser letzter Kuss. Erinnerungslücke. Ich wachte in einem fremden Schlafsack auf. In einem fremden Zelt. Mein Kopf fühlte sich an, als wäre jemand drauf getreten. Hab ich geträumt? Ich kroch aus dem Zelt. Das Lagerfeuer war nur noch ein Haufen dampfender Asche. Jemand stand davor und stocherte mit einem Stock in den letzten Brocken Glut. „Ist das ein verkohltes Zelt?“ fragte ich mit einem Gähnen in der Stimme. Leon schaute mich kurz an, lächelte und nickte. Wir haben nicht mehr darüber gesprochen, also über den Kuss. Wenn im Gespräch mit Freunden der Abend Thema ist, dann kommt von ihm einzig und allein die Anekdote mit dem Wodka im Auge. Höre ich heute von trinkenden Jugendlichen im selben Alter, schüttelt es mich. Wir hatten zu früh angefangen. Bereue ich es heute, dass der erste Kuss unter Alkoholeinfluss stattfand? Vielleicht. Aber die Person kann ich nie bereuen. Mein erwachsenes Herz liebt ihn immer noch. Aber anders. Leon ist heute mein bester Freund.
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