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jackEs ging alles glatt.

Mein Coming Out liest sich vielleicht wie ein Comic aus Entenhausen. Ziemlich easy, ziemlich nett, weniger witzig, als man es sich erhofft. Und das sollte es auch. Ein Coming Out in Europa kann eben auch glimpflich verlaufen - gerade am Anfang dieses Jahrtausends:Ich habe das männliche Geschlecht schon sehr früh interessant gefunden, ohne das zu kategorisieren oder “eingestehen” zu müssen. Vielleicht lag das auch daran, dass ich ein sexueller Frühentwickler war. Vielleicht war bei mir aber auch gar nichts anders und die Menschen können oder wollen sich an ihre ersten kindlichen Fantasien oder Erfahrungen mit Sex nicht erinnern. Ich kann mich allerdings erinnern, dass ich seit je her Ritter Burgfräuleins vorgezogen habe. Und das wohl eher aus ästhetischen, als aus Rollenbild-Gründen heraus. Wir hatten daheim auch ein Rennrad-Kartenspiel (Cartoon-Illustrationen). Eine Karte mochte ich ganz besonders. Nämlich die, auf der ein Mann mit außergewöhnlich ausgeprägter Brust- und Armmuskulatur abgebildet ist, der durch eine Schlammpfütze fährt, einen Schlammspritzer ins Auge bekommt und dabei seinen Körper, in einer kraftstrotzenden Bewegung, nach oben reißt. Ich habe nie verstanden, warum dieser Typ im Spiel, unter den weniger punktebringenden Karten rangierte.


Aber mein Interesse beschränkte sich nicht nur auf Darstellungen, die ich mit einer naiven Neugier anging. Wie viele Kinder im Kindergarten, habe ich auch dort erste Erfahrungen gesammelt. Ich lernte (wie weiß ich nicht mehr) schon früh, mit mir selbst Spaß zu haben. Darüber hinaus knüpfte ich naiv-sexuelle Kontakte im Spiel. Oft mit Jungs, manchmal mit Mädchen. Das ging von Reibereien während des Mittagsschlafs, bis hin zu “Doktorspielchen”. Aber letzteres eher selten. Während eines Urlaubs (ich war zehn) hatte ich mein erstes Mal mit meinem damaligen besten Freund. Tagsüber spielten wir in den Landschaften Schottlands, abends schauten wir begeistert “Der Herr der Ringe” und wenn die Erwachsenen die Ferienwohnung verließen, fingen wir kleine erotische Rollenspiele und Abenteuer an. Dabei landeten wir im Bett. Ich kann mich heute nicht mehr an die Details erinnern. Ich bezeichne dieses frühe Erste Mal auch gerne als “biologisches Erstes Mal”, weil ich es nicht ganz bewusst erlebte. Es ergab sich eben. Und mit zehn Jahren war mir nicht gänzlich klar, dass das jetzt mein Erstes Mal gewesen war oder man das Schnaufen, das in einem wohligen Gefühl endete, als Sex bezeichnet. Sicher, ich war aufgeklärt. Aber ich war eben auch erst zehn Jahre alt. Ich machte mir auch keine Gedanken über Männlein oder Weiblein. Wir zogen in eine andere kleine Stadt, diesmal ins Mittelgebirge, ich ging auf das Gymnasium. War meine Selbstbefriedigung vorher ohne Fantasie ausgekommen, ergab sich mein erster Samenerguss in der frühen Pubertät wahrscheinlich mit dem Bild einer vollbusigen Frau im Hinterkopf. Ich hatte so etwas im Fernsehen gesehen. Weitestgehend war diese Phase meiner Pubertät aber ziemlich wenig sexualisiert. Ich hatte Freundinnen in meiner Klasse, es gab erste Küsschen, man ging sogar zusammen in den WhirlPool, aber damit hatte sich das. Bis ich eines Tages, man schenke mir Glauben das ich nicht genau weiß warum, entschied: Ich bin schwul.


Vielleicht hatte es mit einem Traum zu tun, in dem Johnny Depp und Orlando Bloom eine größere Rolle gespielt hatten. Eher wahrscheinlich ist jedoch, dass ich mich zum ersten Mal verknallt hatte. Ich war zwölf, bald dreizehn. Er war vierzehn (gefühlte sechzehn) und eine Klasse über mir. Seine Haarspitzen hatte er immer mit viel Haargel nach oben gekemmt. Ich beobachtete seine lässigen Bewegungen voller Bewunderung, ich stellte mir vor, er würde mich küssen. Ich steigerte mich in ein Gefühl hinein, das ich aus Filmen und Büchern kannte. Ich nannte es “Liebe” - es war eine Schwärmerei.Nach einem halben Jahr gestand ich es ihm. Seine Antwort: “Ich bin nicht schwul”. Damit hatte sich das. Meine Freundinnen und Freunde(!) waren dagegen alle ganz aus dem Häuschen. Sie hatten jetzt einen schwulen Freund. Wie aufregend! Ich erzählte es allen in meiner Klasse und Schule und um mich herum. (Es war eine sehr kleine Schule mit knapp 300 Schülern.) Ich war jetzt etwas besonderes. Zu jung, um von den Älteren wirklich ernst genommen zu werden. Zu sicher, um in meiner Altersgruppe gemobbt zu werden. Im Gegenteil: Niemand, ja wirklich niemand, diskriminierte, verletzte oder hänselte mich. Ich war beliebt wie eh und je. Nur meiner Mutter erzählte ich es vorerst nicht. Dafür teilte ich es meiner Schwester mit, die mich sehr bekräftigte, interessiert und fröhlich an meiner Schwärmerei war, und mir Mut machte, es auch meiner Mutter zu erzählen. Ich fing an, mich im Internet schlau zu machen. So manche Recherche endete mit dem heimlichen Wichsen zu “Queer as Folk” oder “Brokeback Mountain”. Aber eigentlich haderte ich nicht sehr lang. Meine Mutter ist eine sehr liberale, eine sehr tolerante Frau. Sie erzog mich humanistisch und in einem sehr aufgeklärten Protestantismus. Ich werde wohl so ein halbes Jahr dreizehn gewesen sein, als ich  ihr einen Brief schrieb, indem ich ihr erklärte, ich hätte mich verliebt (in einen Jungen) und ich sei jetzt offiziell und quasi gesalbter Schwuler. BAM!


Den Brief gab ich ihr mit einem vertrauensvollen Blick, mit auf die Arbeit. Mit Worten wie: “Lies ihn ganz in Ruhe.”, “Nimm dir bitte Zeit.” Während der Schule konnte ich mich so gut wie gar nicht konzentrieren. Umso schneller fuhr ich am Nachmittag nach Hause. Meine Mutter erschien dann auch. Wir aßen zu Abend, machten einen Spaziergang, setzten uns in den Garten, dann wieder in die Küche, bis sie meinte: “Und du bist also schwul.” Ein Kloß in meinem Hals. Wir redeten. Sie schien es mir nicht ganz abzukaufen. Sie fragte, ob ich mir denn sicher sei, sie sprach auch von der berühmten Phase. (Obwohl eine ihrer besten Freundinnen lesbisch, und einige Bekannte schwul sind) Aber sie machte weder mir, noch sich selbst Vorwürfe. Als ich später meine erste Liebschaft hatte, die ich damals als eine Beziehung überinterpretierte, war meine Mutter immer noch nicht wirklich begeistert. Sie machte sich Sorgen, ich würde früher oder später auf Pobleme stoßen, die auf  SchuelerVZ öffentlich zur Schau gestellten Kuss-Bilder behagten ihr auch nicht. Dennoch: Sie fragte immer wieder nach, war am Ball. Ich fühlte mich akzeptiert. Mein Stiefvater erfuhr es natürlich über meine Mutter. Aber als ehemaliger Hippie und ziemlich unkonventioneller Mensch, hatte er nur eine einzige Sorge: Dass ich mir doch eh schon genügend Probleme machte, das Schwulsein mir noch weitere bescheren könnte. Das Gegenteil war allerdings der Fall.Ich stieß so gut wie nie auf Widerstand, nur selten wurde ich angemacht. Gut, da gab es ein paar Halbstarke, die auf der Straße dumme Sprüche machten. Im Zeltlager (dem einzigen, an dem ich je teilnahm), schlief ich mit einem Jungen im Zelt, der Anstalten machte, mir näher zu kommen. In meiner Erinnerung wies ich ihn ab. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass er einfach damit aufhörte. Dieser kleine Racker jedenfalls war es, der mich zum ersten Mal Homophobie spüren ließ, indem er versuchte mich verbal zu verletzen, sogar handgreiflich wurde. Diese Episode nahm aber einen für ihn eher unvorteilhaften Verlauf, er musste danach im Zelt der Betreuer schlafen und wurde vom Zeltlager eher missmutig betrachtet. Ich spielte mich ein bisschen auf und wurde in Schutz genommen. Nicht sehr rühmlich, aber c’est ca.

Der einzige, der sich mit meiner Homosexualität schwer tat, war mein großer Bruder, der mir das auch mitteilte. Während meine Mutter von Jahr zu Jahr immer mehr akzeptierte, gab er mir zu verstehen, dass er sich eigentlich einen Hetero-Bruder wünschen würde, Schwule seltsam finden würde. Nach einem Gespräch, ich war sechzehn und als er meinen ersten Freund kennenlernte, löste sich das aber in wohlgefallen auf. Er ist mittlerweile sehr tolerant, er liebt mich auch (und vielleicht gerade) als Schwulen. Ich ging auf ein Internat nach Potsdam. Humanistisch-evangelische Ausrichtung. Das kannte ich also schon. Meine männlichen Klassenkameraden (8. Jahrgangsstufe) wiesen zuerst ein typisches Rudelverhalten auf. Sie grenzten mich aus. Interessanterweise nahmen sie mich aber an, als ich mich begann, auch in meinem neuen Umfeld als schwul zu outen. Offenbar wussten sie jetzt, da ich in eine Schublade gepackt werden konnte, wen sie da vor sich hatten. Auch hier akzeptieren mich alle als Menschen und auch als schwulen Menschen. Ich wäre wahrscheinlich weder in meinem männlichen, noch in meinem weiblichen Freundeskreis kaum als hetero zu denken. Ein Freund stellte mir sogar meinen Freund vor. Ich lebe vermutlich in einer rosa Seifenblase. Diskirminierung erfahre ich nur, wenn ich mit meinem Freund nicht überall in Berlin wage, Hand in Hand zu gehen oder ihn überall auf der Straße zu küssen. Diskriminierung erfahre ich nur, wenn die Regierung mir die Möglichkeit verwehrt, ganz bürgerlich zu heiraten. Diskriminierung erfahre ich nur in der  Solidarität zu LGBT-Menschen in anderen Teilen der Welt. Oder wenn ewig Dumme in Talkshows gegen Homosexuelle wettern. Meine Mutter geht jetzt sogar zu Schwulenständen bei Demos, erzählt gerne von ihrem schwulen Sohn und seinem bezaubernden Freund, macht sich stark für die Rechte von Homosexuellen und erfährt gern mehr über Schönheit und Abgrund der LGBT-Bewegung. Ich sagte ihr neulich, dass ich mir auch vorstellen könnte, später einmal eine Frau kennen- und lieben zu lernen, mit ihr Kinder zu bekommen. Sie blickte mich über ihr Weinglas hinweg an und meinte ironisch lächelnd: “Das würde mich aber sehr wundern.” (Sie outet mich sogar in der Familie)  Dem einzigen, dem ich nie gesagt habe, dass ich schwul bin, war mein leiblicher Vater. Ich legte ihm jedoch einen Brief ins Grab, indem unter anderem etwas stand wie: “Lieber Papa, wenn du mich sehen kannst, hoffe ich du liebst mich auch mit einem Mann an meiner Seite. Und wenn du mich sehen kannst, dann guck’ bitte weg, wenn ich mit ihm ins Schlafzimmer gehe.”

Vielleicht bin ich als Schwuler so sehr angepasst, das Menschen gut damit umgehen können, aber ich mache eigentlich keinen Hehl aus meiner Sexualität. Vielleicht hat eben die Gesellschaft einen Prozess durchlaufen, der Homosexuelle, der mich, akzeptiert. Klar werde ich mich erst richtig toleriert fühlen, wenn es keine dummen Sprüche mehr auf der Straße gibt, wenn ich meinem Freund auch öffentlich meine Zuneigung zeige. Klar werde ich mich erst richtig ernst genommen fühlen, wenn “Mutti Merkel” ihre Zweifel gegen Homosexuelle überwunden hat. Aber ich fühle mich wohl - ich möchte jedem dazu raten, sich zu outen. Vielleicht weniger schubladig mit dem Satz: “Mama...ich bin schwul.” als vielmehr mit einem Statement wie: “Ich liebe Männer, ich habe gerne Sex mit ihnen, mach dir um ausbleibende Enkel trotzdem nicht zu viele Sorgen.”
Ach ja: Damit es noch ein bisschen Sprengstoff gibt: Ich gestehe. Auch ich habe mich mal in eine Frau verschossen. Und auch ich hätte nichts gegen Sex mit einer Frau einzuwenden. Nur ändert das nichts an meiner Vorliebe zu Männern. Ich bin jedenfalls froh wie folgt zu enden:
Es ging alles glatt.

 

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