Die Frau in mir
Nach fast 23 Jahren als 'Matthias' feiert Lara jetzt ihren ganz persönlichen „Frauentag“
(IIdiko Röd) „Richtig verstehen kann das keiner, der nicht in meinem Körper steckt“, sagt Lara über ihre Transsexualität. Seit sie bewusst denken konnte, hat sie es aus tiefster Seele gehasst: das Ding zwischen ihren Beinen. Dieses nutzlose, irritierende Stück Fleisch. Wenn Lara von ihrem Penis spricht, sagt sie meist „meine Männlichkeit“. Und es klingt wie „mein Makel“. „Innerlich fühle ich so, dass das gar nicht da sein darf.“
Sie senkt ihren Blick aus den wunderschön geschminkten Augen. Durch die Emotionen wird der Zug um den Mund kantiger. An ihrem schmalen Hals zeichnet sich der Adamsapfel unterm Make Up ab.
Geboren wurde Lara - „Ich liebe Angelina Jolie, besonders als Lara Croft“ - vor 23 Jahren als Matthias. Ihre Mutter hatte sich zwar immer eine Tochter gewünscht, aber der Erstgeborene wurde natürlich wie ein „richtiger“ Junge aufgezogen. Ein Steppke mit kurzen Strubbelhaaren, der sich nicht von den Altersgenossen am Schlaatz unterschied. Nur Matthias spürte, dass er anders war. Dieses beglückende Gefühl, als er sich bei einer Modenschau in der Grundschule einen Badeanzug schnappte und darin umherstolzierte!
Oder wenn er heimlich die Pumps seiner Mutter ausprobierte. „Mit den Mädchen“, erinnert sich Lara, „habe ich Puppen gespielt.“ Trotzdem scheint der umgängliche Matthias kein Außenseiter gewesen zu sein. Und tief im Innern war er ohnehin überzeugt, dass alles bald in Ordnung kommen würde: „Ich habe mich immer gefragt, wann endlich meine Brüste zu wachsen anfangen.“ Als nach einigen Jahren stattdessen der Bart spross und der Penis ein Eigenleben entwickelte, da ekelte es ihn vor sich selbst. Er hatte sein Leben immer weniger im Griff. Dass er über einen Bildungsträger ausgerechnet eine Lehrstelle als KFZ - Mechaniker bekam, machte alles noch schlimmer.
Bei der Abschlussprüfung fiel er durch. Seine Beziehungen zu Mädchen scheiterten, weil er den femininen Part einnahm: „Ich wollte ständig kuscheln.“ Irgendwann saß er nur mehr zu Hause herum. Stülpte sich die Perücke über, schminkte sich hingebungsvoll vor dem Spiegel und ging so nur im Schutz der Nacht hinaus, um im hintersten Winkel der Tram durch die Stadt zu gondeln.
Irgendwann einmal kamen die Eltern und der jüngere Bruder unangemeldet zu Besuch und sahen die Frauenkleider: „Nur eine Phase“ beteuerte Matthias, den das Verstecken unendlich deprimierte: „Ich dachte an Selbstmord“, so wie viele Transsexuelle - jene Menschen, die sich in ihrem Körper nicht zu Hause fühlen, sondern als Angehörige des anderen Geschlechts. Oft werden Transsexuelle und Transvestiten in einen Topf geworfen. „Aber Transvestiten kleiden sich nur ab und zu als Frau; wir hingegen wollen richtig im anderen Geschlecht leben“, erklärt Lara mit ihrer sehr leisen, sanften Stimme, die auch einen Teil ihres Charmes ausmacht. Genauso wie der ehrliche Ausdruck in den braunen Augen und die sympathische Nachdenklichkeit. Manchmal überlegt sie lange, ehe sie antwortet. Zu ungewohnt ist es noch, über alles zu sprechen.
Denn das Coming Out liegt erst vier Monate zurück. Bei einer Party ergriff der Bruder einfach die Initiative, indem er locker in die Runde warf: „Übrigens - Matthias ist transsexuell.“ Der Bruder begleitete Lara, als sie ihren ersten Bummel als Frau durchs Stern - Center wagte. Einige guckten, nur ganz wenige lachten. Und von der Ferne bewunderten wohl viele ihre Topfigur: Kleidergröße 32; Endlosbeine.
„Aber etwas weiblichere Formen wünsche ich mir schon“, sagt Lara und fasst sich an die schmalen Hüften. Eine Hormonbehandlung wird die Rundungen bescheren. Aber erst mal stehen psychologische Gutachten bevor.
Wohl erst in zwei Jahren wird Lara am Ziel ihrer Träume sein - in einer Klinik, wo die Geschlechtsangleichung erfolgt. Dabei wird die leere Penishaut durch ein gebohrtes Loch nach innen gestülpt und so zur Vagina. Aus dem Hodensack entsteht eine große Schamlippe; aus Teilen der Eichel eine Klitoris. In der renommierten Privatklinik Sanssouci in der Helene - Lange - Straße werden seit 1994 Operationen von Mann zu Frau und - noch diffiziler - von Frau zu Mann durchgeführt. Die Häufigkeit von Transsexualität liegt bei eins zu 20 000, schätzt der ärztliche Leiter Michael Krueger. Wahrscheinlich findet sich die Ursache in einer hormonabhängigen Umstimulierung während einer frühen Phase des Embryos - Körper und Psyche entwickeln sich asynchron. Mittlerweile ist Transsexualität als Krankheit anerkannt, mit dem damit verbundenen Anspruch auf eine Operation.
Erst nach der Geschlechtsangleichung will Lara wieder eine Beziehung eingehen. Sie ist voller Vorfreude auf die lesbische Liebe; „ohne Rein und Raus“. Aber auch so fühlt sich ihr Leben plötzlich erfüllt an. Die Eltern und Freunde halten zu ihr. Und für die Zukunft wünscht sie sich eine Lehrstelle als Restaurantfachfrau.
Das Interview ist zu Ende. Lara nimmt die Tasche; stöckelt mit ihren Mega - Beinen raus. Von hinten sieht sie ein bisschen aus wie ein junges Fohlen, das in die Welt strebt.
Quelle: Märkische Allgemeine Zeitung |